Abirede 1. Versuch

J: Ladies and Gentlemen!
U: Senoras y Senors
J: Mesdames et Messieurs!
U: Werte Damen und Herren!
J: ...Meinst Du nicht, dass "Sehr geehrte..." besser ist?
U: Warum?
J: Damit man das ja nicht falsch versteht.
U: Alles klar! Sehr geehrte Abiturienten, Lehrer, Eltern, Geschwister!
 
J: An dieser Stelle möchten wir uns bereits dafür entschuldigen, dass die politische Korrektness bezüglich der Verwendung der weiblichen Form aus Zeitgründen etwas zu kurz kommt.
U: Da Veranschaulichungen ein Teil der pädagogischen Grundprinzipien sind, haben wir da mal was vorbereitet.

[PLAKAT]

J: Obwohl jetzt schon schier endlos scheinende Wochen des Nichtstuns und der Völlerei hinter uns liegen, haben wir trotzdem noch nicht ganz realisiert, dass die 13 Jahre Schulalltag mit dem heutigen Abend enden.
U: ...gerade jetzt, da man das Gefühl hat, an der Schule nicht mehr wie stark pubertierende Jugendliche behandelt zu werden.
J: Außerdem hatte man sich so schön an die bewundernden Blicke der SEK I gewöhnt.
U: Nein, das ist keine Einbildung. Erinnert Euch, liebe Mitschüler, wie cool die 13er immer waren!
 
J: Es scheint übrigens auch so, als ob einige von uns mit diversen Büchern eine innigere Beziehung eingegangen sind, als man je vermutet hätte.
U: Wir wollen Euch hiermit(?) noch mal daran erinnern, dass Herr Hennicke den Regressforderungsblock bereits gezückt hält.
J: Gebt Euch einen Ruck, sonst müssen wir Adi bitten, unserem Bildungsminister mal wieder um den Bart zu gehen, damit dieser die von uns verschuldete Schul-Armut ein wenig lindert.
 
U: Jetzt fragen sich sicher einige: "Was bleibt mir denn von der Schulzeit, wenn ich auch noch das letzte Regelwerk abgeben muss?"
J: Aber Gott sei Dank wurden unsere Schultaschen nicht nur mit Büchern oder unsere Köpfe mit Wissen voll gestopft, auch einige preußische Tugenden konnten an uns weitergegeben werden. Besonders Herr Kempin brachte uns die Wichtigkeit von Disziplin, Gehorsam, Fleiß und Verantwortung nahe...
U: ...und hat somit sicherlich einen gewissen Anteil daran, dass wir unsere Baumpflanzaktion in Rekordzeit mit Rekordbeteiligung bewältigen konnten. Livia scheint sich das Verantwortungsbewusstsein besonders zu Herzen genommen zu haben. Trotz eines triftigen Grundes für ihr Fehlen bekamen wir eine zweifache Vertretung aus ihrer Familie.
 
J: Dank einiger Lehrer wissen wir aber auch, dass zwar die Arbeit vor dem Vergnügen kommt und wer feiern will auch arbeiten können muss, das Vergnügen allerdings dann auch mal recht üppig ausfallen darf.
U: Und Dank der Chemielehrer sind wir Abiturienten die einzigen, die ihren Promillewert dazu wissenschaftlich erklären können.
J: Und dementsprechend sah das Bild dann nach jeder Prüfung wie folgt aus: Treffen in der Bürgerheide, den Prüfungsfrust ertränken oder die Freude begießen, dadurch neue und vollkommen unerwartete zwischenmenschliche Beziehungen knüpfen, vielleicht noch ein nächtliches Bad in Hennersdorf und Feiern bis zum frühen Morgen.
U: Wer von uns studiert, wird diese Prozedur wohl in Zukunft noch häufiger mitmachen.
 
J: Seit den mündlichen Prüfungen, die für die meisten die letzte Hürde waren, feiern wir heute nun wahrscheinlich zum letzten Mal gemeinsam und werden noch mal die Nacht zum Tag machen.
U: Doch neben dem Feiern kommt auch das Forschen am Sängerstadt-Gymnasium nicht zu kurz, obwohl wir uns laut Herrn Zupan im Bildungsloch Brandenburg befinden. So wurde von den Lehrkörpern eine neue Spezies des Siebenschläfers entdeckt und liebevoll Tarnkappe getauft. Als markantestes Merkmal wurde die dauerhafte Nichtanwesenheit ausgemacht.
J: Die schon seit längerem bekannte Art der Zuspätkommer, auch in Lehrerkreisen verbreitet, stellte sich nach einigen Untersuchungen als Vorstufe der neuen Spezies heraus.
U: Umstritten ist allerdings noch welche Umstände die Entwicklung der Tarnkappe begünstigt haben. Man vermutet, dass die besagte Art Probleme mit den ausgefuchsten Vertretungsplänen von Herrn Strauch und Herrn Dr. Tosch hatte.
J: Denn das Pensum an Ausfallstunden, das Schüler anderer Schulen durchaus erwarten können, ist bei uns kaum denkbar.
U: Man kann sich richtig vorstellen, wie Herr Tosch über Herrn Strauchs Schulter gebeugt mit Blick auf den Vertretungsplan sagt: "Da geht noch was!"
 
J: Die meisten der Schüler glichen ihr Freistundendefizit aus, indem sie ihre Freizeitaktivitäten einfach in den Unterricht verlagerten.
U: Zum Beispiel hätte ich ohne Juliane nie erfahren, wie eine Nagel-Polierfeile funktioniert...
J: Als wirklich effektiver Zeitvertreib erwiesen sich Kaugummi kauen und essen, Walkman hören, Focus und Playboy lesen, Schiffe versenken oder auch Nägel feilen, polieren und lackieren.
U: Ein Dank an sie alle, liebe Lehrer, die sie meistens großzügig darüber hinweg gesehen haben. Wir bedanken uns auch bei allen Lehrern, die uns nicht nur trockenes Wissen vermittelten, sondern uns auch zum selbständigen Denken herausforderten, den Unterricht mit Humor oder ihren Eigenarten auflockerten und uns zu fast jeder Zeit ernst nahmen.
J: Besonders möchten wir uns bei Herrn Hennicke bedanken, der immer ein offenes Ohr für neue Ideen hat, unkonventionelle Unterrichtsmethoden unterstützt und uns besonders im letzten Jahr mit Rat und Tat zur Seite stand. Wir sind froh, dass wir von Anfang an einen so aufgeschlossenen Direktor hatten und behalten durften.
U: Weiterhin bedanken wir uns bei Herrn Strauch, der die Fäden oft unerkannt im Hintergrund in der Hand hält und bei Herrn Tosch, der einem sämtliche Sonderregelungen der gymnasialen Oberstufenverordnung fehlerfrei nennen kann und so dafür sorgte, dass wir uns ein wenig besser im SEK-II-Dschungel zurechtfanden.
J: Wir wollen natürlich auch nicht die Eltern vergessen, die uns mal mehr, mal weniger bestimmt bis hierher begleitet haben und die, obwohl wir ja jetzt schon groß sind, dennoch furchtbar wichtig für uns sind.
 
U: Nun möchten wir unsere Rede nicht weiter ausdehnen, da uns bewusst ist, dass Hosen und Kleider im Sitzen enger sind und sich in diesem Moment womöglich jeder wünscht, seine Abendgarderobe eine Nummer größer gekauft zu haben.
J: Zum Abschluss möchten wir noch mal daran erinnern, dass der heutige Abend ein besonderer ist - wir schließen nun unseren ersten großen Lebensabschnitt endgültig ab, viele von uns werden sich außer auf den Klassentreffen nicht wieder sehen. Dieser Abend ist voller Wehmut, aber auch voll Stolz und Freude.
U: Lasst uns auf unser aller Zukunft anstoßen!

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